Was geht auf Social Media? #44
Heute mit Mental Health, dem Abschied von X, der kostet, Substacks Nazi-Problem und dem Dirt Man.
Social Media könnt Ihrer Gesundheit schaden
In einem Meinungs-Stück in der New York Times fordert Vivek H. Murthy, der Surgeon General der USA (also sowas wie der oberste Gesundheitsbeamte), dass es auf Social Media Warnmeldungen für Jugendliche geben solle, dass SoMe der (geistigen) Gesundheit schadet. Murthy gesteht selbst ein, dass die Faktenlage nicht so eindeutig ist. Das hatte ich hier ja auch schon als Thema.
Aber die "Mental Health Crisis" in den USA erfordere jetzt ein schnelles Handeln, auch wenn die Wissenschaft die Details noch ausbaldowern muss, so Murthy.
https://www.nytimes.com/2024/06/17/opinion/social-media-health-warning.html
Bye Bye, Elon
47 Wohltätigkeits-Organisationen und Unternehmen, darunter die AWO, das Fairtrade-Label und Bioland verabschieden sich mit einem Mic Drop von X.
Als Protest gegen zunehmende Hassrede auf der Plattform rufen sie unter dem Hashtag #ByeByeElon dazu auf, es ihnen gleichzutun. Was lernen wir daraus? Hass ist schlecht fürs Geschäft.
X ist auch schlecht fürs Geschäft
Bloomberg hat sich die Papiere angeguckt, die X eingereicht hat, um als "Everything App" (alleine für den Namen müssten alle eigentlich schon "Bye bye Elon" sagen) auch Zahlungsdienstleistungen abwickeln zu dürfen. Und es stellt sich raus, dass im ersten Halbjahr 2023 die Einnahmen des Unternehmens um 40% einbrachen.
Substacks Nazi-Problem
Dass Hass schlecht fürs Geschäft ist, war auch die Pointe von Arikia Millikan auf der re:publica.
It's a tale as old as time. Silicon Valley macht eine Plattform auf. Irgendwann entdecken Menschen mit hasserfüllten, menschenverachtenden und rechtsradikalen Inhalten diesen Dienst. Die Mitte der Gesellschaft sagt: Hey Plattform! Da sind Nazis, die den Diskurs vergiften. Silicon Valley erwidert dann: Also, wie stehen für Free Speech. Daher müssen wir auch diese Meinungen aushalten. Aber: Diese Meinungen vergiften den Diskurs, machen es für alle anderen unerträglich auf der Plattform zu sein. Daher gehen alle wohlmeinenden User*innen und zurück bleiben nur die Nazis.
Substack ist das jüngste Beispiel dafür. Im November 2023 machten große Newsletter-Autor*innen Substack darauf aufmerksam, dass es Nazis gibt, die den Dienst nutzen, um ihre menschenverachtenden Inhalte zu verbreiten. Substack so: Wir finden Nazis auch doof, aber wir sind für Free Speech. Als sich bis Januar 2024 die Haltung von Substack nicht änderte verließen die größten Autor*innen medienwirksam den Dienst.
Einerseits haben wir hier einen Wertekonflikt. Meinungsfreiheit und Menschenwürde sind beide grundlegende Werte unserer Gesellschaft. Aber oft stehen wir vor dem Dilemma, dass wir einen der Werte einschränken müssen, um den anderen zu schicken. Unser Grundgesetz sagt hier eindeutig: Menschenwürde ist der höchste Wert, hinter dem alle anderen Werte zurücktreten müssen. Aber das kann man (in anderen Kulturkreisen) natürlich auch anders sehen.
Dennoch ist die Entscheidung von Substack höchstwahrscheinlich nicht wertegetrieben, sondern ein marktwirtschaftliches Kalkül. Denn, um Nazis von deiner Plattform zu halten, gibt es eigentlich nur ein zuverlässiges Mittel: Community Management. Das kostet natürlich. Und die Kosten will sich Substack sparen. Was der Platisher übersieht: Es lohnt sich, diese Kosten auszugeben. Denn dadurch, dass Substack sich die Kosten für Community Management einspart, hat es beispielsweise den Newsletter-Autoren Casey Newton mit 170.000 Abonent*innen verloren. Da dürfte mit wesentlich größeren finanziellen Verlusten für Substack einhergehen als es die Kosten für Community Management wären. Wenn ihr gutes CM sucht, kann ich übrigens weiterhelfen. ;) Wir machen das etwa in der Samsung Community, wo wir dank aktivem Managements trotz hunderttausender User*innen faktisch keine menschenfeindlichen Äußerungen haben.
Aber auch für die Autor*innen ist dieses ewige Weiterziehen ein Problem. Es bedeutet Arbeit und den Verlust von Follower*innen. Zu guter Letzt leiden auch wir als Gesellschaft darunter. Denn. Durch die ewige Migration auf neue Dienste gehen regelmäßig Links und damit unser kulturelles Gedächtnis kaputt. Nach 5 Jahren funktionieren 50% aller gesetzten Links im Internet nicht mehr. Also: Mit Community Management könnt ihr auch unser kulturelles Erbe bewahren. ;)
Hier der Vortrag von Arikia Millikan dazu. Das Ende fand ich enttäuschend, denn im Gegensatz zu mir ist ihre Antwort nicht Community Management. Auch die Schlussfolgerung, dass Plattformen wie Infrastruktur sind und daher gewisse Anforderungen erfüllen sollten, hätte ich legitim gefunden. Milikans Antwort hingegen war: Irgendwas mit Blockchain.
The Dirt Man und der Dreck unter unseren Kissen
Ich habe mich noch gar nicht dem Phänomen "Virale Sounds" auf TikTok gewidmet. Eine In-App-Funktion von TikTok ist, dass ich sehr niederschwellig Sounds unter meine Videos legen kann, die ich mit einer Suche in einer Sound-Bibliothek finden kann. Das sind zum einen "normale" Songs. So gab es riesigen Stress als Universal Music all ihre Musik von TikTok abzog, da man sich finanziell nicht einigen konnte und was dazu führte, dass eines der größten Memes des vergangenen Jahres, nämlich die "Wes-Anderson-ifizierung von Videos" plötzlich verstummte. Mittlerweile haben sich UMG und TikTok geeinigt und wir alle dürfen zum
Beispiel Taylor Swift wieder unter unsere TikToks legen.
Aber die Soundbibliothek beinhaltet noch mehr. Nämlich den Sound von TikTok-Videos. Und das kann dann dazu führen, dass eine Tonspur losgelöst vom Video viral geht. So geschehen seit ein paar Monaten mit dem Song "Dirt Man", der mit einer catchy Melodie und mysteriösen David-Lynch-esken Lyrics es geschafft hat, zum viralen Hit auf TikTok zu werden. So hat das Original-TikTok 1,6 Millionen Likes eingesammelt:
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