Winterdepression, aber als Abenteuer
Was geht auf Social Media #50 – Edekas Blümchen-Kampagne, dem Winter Arc, die Trauer um Twitter, einem viralen Nilpferd, Molly White, Mark Zuckerberg, Foren, X in Brasilien, Dubai-Schokolade und mehr
Edeka, Blümchen und was passiert, wenn du auf Community Management verzichtest.
Euch ist die riesige Kampagne von Edeka mit Jasmin Wagner alias Blümchen bestimmt schon über den Weg gelaufen. Aus meinem TikTok-Feed schallt es bei jeder zweiter Werbeanzeige "Herz an Herz". Beruflich habe ich mir in den letzten Wochen viele Kommentare angesehen unter verschiedensten Werbeanzeigen auf TikTok. Und was bei Edeka gerade abgeht, ist next level "rausgeschmissenes Geld". Edeka hatte sehr lobenswert vor den Landtagswahlen in Ostdeutschland Profil bewiesen und sich gegen die AfD gestellt.
Das führt jetzt allerdings zu einem kapitalen Shitstorm unter ihren TikTok-Anzeigen. Soweit nichts neues. Als Community Manager*innen ist das leider das täglich Brot meines Teams. Aber genau das ist der springende Punkt: Einen rechten Shitstorm kann und muss man managen.
Doch offensichtlich ist den Verantwortlichen von Edeka überhaupt nicht klar, was sich da gerade auf TikTok abspielt, denn nicht nur bleibt anscheinend alles stehen; das Unternehmen hat nicht einen einzigen Kommentar zu den ganzen "Blauherzen" (eine leicht zu entschlüsselnde Dog-Whistle der AfD) abgegeben. Ich bin mir nicht sicher, ob sie überhaupt wissen, dass man auf TikTok kommentieren kann. Hey Edeka, wenn ihr da Beratung braucht, ich kenne eine gute Agentur. ;)
Der Winter Arc
Ich bin über ein Video, das sich darüber lustig machte, auf den "Winter Arc" auf TikTok aufmerksam geworden. Dort posten Fitnessstudio-Bros und Gals vermeintlich epische Motivations-Videos, dass jetzt die Wintermonate kommen und das große Abenteuer beginnt, fit zu bleiben.
Wenn wir mal absehen vor dem albernen Pumper-Gehabe sind die Tipps, die junge Menschen sich im Winter Arc geben ziemlich solide Tipp für eine gute Mental Health in den dunklen Monaten:
Sport machen
Nicht im Bett liegen bleiben, sondern aktiv werden und nach dem Aufstehen das Bett machen, damit man gleich das gute Gefühl hat, eine Aufgabe erledigt zu haben
Das Smartphone einfach mal weglegen, weniger scrollen, weniger Netflix.
Schlechte Angewohnheiten wie Rauchen oder Binge Eating unterbrechen.
Einen neuen Skill lernen
und vieles mehr
Was ich lange nicht gerafft habe, war der Tipp auf "Corn" zu verzichten. Was soll schlecht an Mais sein? Aber das ist natürlich ein Codewort, um den TikTok-Filter zu überlisten. Eigentlich geht es um was anderes. Irgendwann muss ich mal was zum Anti-Zensur-Soziolekt auf TikTok schreiben.
Anyway, ich finde es skuril und zugleich süß, dass sich die Leute Tipps für geistige Gesundheit geben, aber das nicht als genau das machen können: Pass auf, Winterdepressionen sind ein Ding, sondern daraus ein Abenteuer machen müssen.
Was wir mit Twitter verloren haben
Ich lese gerade "Because Internet: Understanding the New Rules of Language" von Gretchen McCulloch. In dem Buch beschreibt sie, wie die Sprache sich durch Social Media verändert hat. Aber auch, wie sich die Arbeit einer Linguistin verändert hat. Das Buch ist von 2019 und viele ihrer Beispiele zeigen noch einmal schmerzlich, was wir verloren haben dadurch, dass Elon Musk Twitter kaputtgemacht hat. Denn Twitter war nicht nur ein albernes und auch oft viel zu zorniges Netzwerk, es war eben unter anderem auch eine wertvolle Recource für wissenschaftliche Forschung. So konnten Linguist*innen über Twitter sehr gut verfolgen, wann bestimmte Ausdrücke auftauchten und in welchen soziologischen und regionalen Zirkeln sie verwendet wurden. Das verhindert Musk nicht zuletzt dadurch, dass er die Programierschnittstelle für Wissenschaftler*innen dicht gemacht hat.
Moo Deng
Ich weiß, ich bin late to the party, aber das Internet liebt das thailändische Nilpferd-Baby und das wollte ich euch nicht vorenthalten. Wie es auf einem Insta-Fanaccount schön heißt:
"moodeng means "bouncy pork" but she's not a pork but an icon"
Hier habt ihr es zuletzt gehört.
Unsere Macht über die Plattformen
Molly White macht den "Citation Needed"-Newsletter und berichtet dort regelmäßig über die neusten Machenschaften und Skandale der Crypto-Szene, sowie die Webseite "Web3 Is Going Just Great", auf der es eine Timline gibt, wie viel Geld durch Crypto-Scammer insgesamt schon gestohlen wurde. Stand jetzt, Mitte Oktober: 75 Milliarden. Yay!
Diese Molly White hat einen Vortrag auf der Konferenz XOXO gehalten, in dem sie eine bittere Zustandsbeschreibung des aktuellen Netzes abgibt:
For a lot of people, the web feels worse than it used to. Much of our time is spent on a handful of giant social networks that do everything they can to keep people in their apps for as long as possible, even if it has detrimental effects on the people who are using them, or on the social networks themselves. Engagement farming and rage-baiting are rewarded, misinformation and disinformation proliferate, and the temperature often feels like it’s been turned way up in any interaction where people are just waiting to interpret the things that you say as uncharitably as possible.
Platforms we used to love have turned into shambling zombies as those who run them make clear that the wants of their users are little more than irritating requests to be ignored in search of ever more revenue. Websites outside of these handful of social networks are harder and harder to even find, and partially because of that, they have a harder and harder time sustaining themselves. What is out there is buried among ever-growing piles of useless content farm material or, increasingly, AI-generated garbage. And the scrapers run by the companies that help generate the AI garbage are pushing more and more high-quality work out of reach, with people either placing it behind paywalls or other such barriers, or choosing not to publish it at all because it means their hard work might be used to train these models without their consent.
We’re often being yanked around by tech companies that foist upon us what they think is going to be the next big thing. The blockchain. The auto-playing videos that are created by journalists whose bosses insist that "video is the future of news." To metaverse tools that promise to make our Zoom calls into low-poly, nausea-inducing experiences with our coworkers. To generative AI assistants that we have to babysit as they bungle whatever it was that we were trying to do, as they ship our private data off to probably low-security servers somewhere. A lot of excitement around the early idealism of the web has broadly dwindled.
Aber dabei bleibt sie nicht stehen. Sie macht klar, dass Userinnen eigentlich eine größere Macht haben als die Plattformen. Denn die Plattformen können sich nur in einem engen Korridor zwischen Userinnen-Interessen, eigenen Interessen/Shareholder-Interessen, Werbekunden-Interessen und staatlicher Regulierung bewegen. Während wir User*innen jederzeit (mehr oder weniger) einfach unsere Koffer packen und woanders hingehen können.
Exzellentes Insta-Game
Die Bücherei Wien spielt ein exzellentes Insta-Game, das man gesehen haben sollte.
Mark Zuckerberg will sich nicht länger entschuldigen
Mark Zuckerberg sprach auf einer Bühne mit Aquired.FM. Unter anderem orakelte er, dass er bzw. Meta sich in der Vergangenheit unfair behandelt fühlte und dass er sich zukünftig weniger entschuldigen oder rechtfertigen will für seine Handlungen. Was genau Zuck für unfair hält, sagte er nicht, aber Casey Newton macht den educated guess:
Was er für unfair hält, ist die Behauptung, Meta sei in erster Linie für unsere polarisierte Politik, den Niedergang der Demokratie oder den schlechten Zustand der psychischen Gesundheit junger Menschen in den Vereinigten Staaten verantwortlich.
(übersetzung von mir mit DeepL)
Schauen wir uns doch dazu noch eimal die Vorwürfe von Molly White an und fragen uns, ob sich Zuck zu diesen schuldig bekennen sollte:
“do everything they can to keep people in their apps” – jepp, ich denke, man kann mit Fug und Recht behaupten, dass Facebook damit sogar angefangen hat und somit Schuld am Niedergang des auf Hyperlinks basierenden freien Netzes hat.
“it has detrimental effects on the people who are using them, or on the social networks themselves” – wenn Zuck die Verantwortung dafür ablehnt, frage ich mich, warum wir so Begriffe wie "Doomscrolling" haben und warum der “Winter Arc” beinhalten: Weniger Social und nicht mehr …
“Engagement farming and rage-baiting are rewarded” – ich hatte hier in der Vergangenheit schon ausführlich über die Schädlichkeit der "meaningful interactions" als Metrik hingewiesen.
Und Instagram/Threads-Chef Adam Mosseri schrieb diese Woche auf Threads:“misinformation and disinformation proliferate” – muss ich wirklich an Cambridge Analytia erinnern? Oder reicht schon Shrimp Jesus?
“What is out there is buried among ever-growing piles of useless content farm material or, increasingly, AI-generated garbage” – Meta hat erst kürzlich angekündigt, es noch einfacher zu machen, KI-Videos zu erstellen. Yay!
Die Liste ließe sich fortsetzen. Aber das ist mir alles zu deprimierend. Eine Zukunft, in der sich Meta weniger um die Beschwerden aus der Zivilgesellschaft schert, scheint mir jedenfalls nicht so rosig.
Via: https://www.platformer.news/mark-zuckerberg-acquired-podcast-interview/?ref=platformer-newsletter
Foren? Foren!
Wenn das mit Social Media nix mehr wird, dann mache ich in Holz. Oder ... oder! Oder vielleicht sollte ich mir einfach wieder ein Forum suchen, als wäre es 2004! Hier eine gute Auswahl:
https://aftermath.site/best-active-forums-internet-today
X ist zurück in Brasilien
Es hat nur 1,5 Monate gedauert und ihn wahrscheinlich einen großteil seiner User in Brasilien gekostet, doch letzten Endes hat auch Elon Musk einsehen müssen, dass er nicht über dem Gesetz steht. Er hat die Forderungen des obersten brasilianischen Gerichts erfüllt und X ist wieder von Brasilien aus erreichbar.
https://www.tagesschau.de/ausland/amerika/brasilien-x-104.html
Wie läuft eigentlich der Wahlkampf in den USA?
Ah, ja!
https://bsky.app/profile/did:plc:25pgmwallawm2uyqlquepeal/post/3l5ybutqc6r2i
Dubai-Schokolade
Angeblich soll TikTok (mal wieder) dafür sorgen, dass Produkte knapp werden. Der Cucumber-Guy hat in der Vergangenheit ebenfalls angeblich, dafür gesorgt, dass Gurken in Island knapp wurden, jetzt geht es vermeintlich der Pistazien-Creme an den Leib (oder Laib?), da halb Deutschland vermeintlich die "Dubai-Schokolade" nachmachen will.
Angeblich!
Du Aal
https://mastodon.social/@privatsprache/113238479282955645
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